sonorfeo

   

Duineser Elegien und „Orpheus klingt!“

Die Duineser Elegien verdanken ihren Namen einem mehrmonatigen Aufenthalt Rilkes auf Schloss Duino, wo er erstmals 1910 auf Einladung der Fürstin Marie v. Thurn und Taxis verweilte. Rilke rang 16 Jahre um die Fertigstellung dieser großen dichterischen Gesänge. In ihnen begegnet das Individuum, das vereinzelte Ich, auf der Suche nach Entfaltung und Bestimmung mächtigen Archetypen. Das werdende, fragende Ich beleuchtet seinen eigenen Innenraum: "Nirgends, Geliebte wird Welt sein, als innen" . Es muß sich messen und bewähren an den von außen kommenden, überpersönlichen Gesetzmässigkeiten, dichterisch gefasst und gleichsam in eine poetische Essenz gegossen in die großen Bilder: der Engel, der Liebenden, des Helden, der früh Verstorbenen ...
Jenseits einer rein intellektuellen Deutung entfaltet die machtvolle, doch immer wieder überraschend zarte Metaphorik der Rilke'schen Sprache eine starke seelische Realität und Aktualität. Sie springt unmittelbar ins Gefühl, fordert jedoch im nächsten Moment entschieden das Denken heraus; ein Oszillieren das zugleich Klippe und herausfordernder Reiz bei der Beschäftigung mit den Elegien ist. Aus dieser Sprache heraus wird Rilkes Dichtung zur Elegie, zum musikalisch klagenden Gesang.
Rilke war nach eigenem Bekunden auf der Suche "nach einer Musik hinter der Musik" . Wir begeben uns mit der Schauspielerin An Kuohn auf die Suche nach dieser Musik. Die Musik folgt dabei den archetypischen Bildern des Textes, in Spiegelung und Entsprechung, wie auch in Konflikt, Überhöhung oder Kontemplation.

  

  

  

  

  

  

Die Sonette an Orpheus vollendete Rainer Maria Rilke als letzten Gedichtzyklus direkt nach Beendigung der Duineser Elegien. Das Werk streift nicht nur Lebensstationen des mythischen Sängers, sondern deutet die orphische Philosophie für unsere Zeit. Wie kann sich der heutige Mensch wieder der Natur annähern und ihrer lebensspendenden Kraft teilhaftig werden? Ist ein Weg, der kein Rückweg ist sondern ein mutiges Fortschreiten in neue Richtung, denk- und lebbar? Jenseits aller Romantik und mit oft verkannter Radikalität in Bildern und Sprache stellt Rilke diese Fragen, ohne sie sogleich leichtfertig zu beantworten. Er erreicht damit in seiner Lyrik eine philosophische Aktualität, die immer wieder unterschätzt wird. 

Dieser Aktualität stellen wir Musik an die Seite, aber auch entgegen. Einerseits um die Bilder, Lehrsätze und Bekenntnisse aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in die Gegenwart zu holen und damit jetzt erlebbar und verstehbar zu machen. Andererseits um das verklärte Bild des "hübschen" Dichters, des ästhetischen Reimschmiedes, mindestens zu relativieren.
Der "schöne" Rilke, eines der Lieblingskinder des Bildungsbürgers, ist bei genauerer Betrachtung von einer Modernität und Schonungslosigkeit, mit der wir auch heute noch ganz enorme Schwierigkeiten haben. Unter anderem deshalb, weil er uns an moralische und theologische Abgründe führt – zwei Dinge, die wir nicht besonders schätzen, da wir ihnen meistens nichts entgegenzusetzen haben.

Wir gehen mit diesem Projekt in zwei Richtungen: zum einen befördern wir die Rilkeschen Sonette ins Jetzt, aus der historischen Zeit und den damit verbundenen Klassifizierungen in die Gegenwart. Zum anderen eröffnen wir einen intuitiven Zugang zu dieser hochkomplexen Lyrik, die beim einmaligen Hören schwer verstehbar erscheint. Wir stellen mit der Musik dem analytischen Verständnis das intuitive an die Seite, damit am Ende, wenn schon keine vollständig intellektuelle, so doch eine gefühlsmäßige Durchdringung der Sonette an Orpheus möglich ist.